part 2

Der Kleber war schon angerührt, da zuckte meine Hand. Der Vater hatte manchmal gesagt, mein Groschen sei kein Sturzbomber. Das hatte mich schwer getroffen, zu Zeiten. Sagt man sowas zu einem Kind? Jetzt war ich ein anderes Kind, ein neues, und ich dachte lächelnd an ihn. Ich hoffte es ging ihm gut, diesem geliebten, gefürchteten Kerl, der er war, und der erst zu Milde und Bedürfnis erwachte, als er alt war. Ich hoffte, es ging ihm gut, denn obwohl er nun der angenehmere combattant geworden war, hatte ich keine Zeit für ihn gerade. Er müsste verstehen und würde. Mit voller Absicht hatte ich keinen Telefonanschluss. Das handy hatte ich schon seit vielen Tagen nicht mehr angerührt, und müsste ernsthaft nachdenken, wo es ist. Dabei hatte ich es zur Notfallversorgung erklärt. Ich lächelte wieder. Welcher, bitte welcher Notfall.
Mein Groschen fiel wie ein Sturzbomber. Blitzlichtartige Erkenntnis. Diese Kachel, diese Claire, die würde immer bei mir bleiben müssen, egal wo und wie. Das war mein Immer. Sie musste hier befestigt werden, unverwüstlich – und dennoch jederzeit, noch vor dem handy abgezupft werden können für jeden Weg, der kam. Ich musste sie so befestigen, dass das alles möglich war. Ich nahm den Eimer mit dem Klebezeug beherzt, auch wenn ich ihn für Geld erwarb, und davon hatte ich gerade weniger als man sich denken kann, nahm ihn und warf ihn über den Zaun, wo die Nachbarn eine ansehnliche Müllhalde erzeugten. Das leistete man sich hier. Und auch, wenn ich noch mal in mich gehen musste, ob ich allen Verrohungen, die hier statt hatten, neben dem Lieblichen und Neuen, nachgeben sollte: jetzt war es richtig. Denn der blöde Klebstoffeimer versank zwischen einer verrosteten Autotür und einem verschimmelten Federbett, das ganze garniert von unzähligen Plastikflaschen. Versank für immer und ewig. Ciao. Ciao.
Mein Zaun war hoch. Und seltsam war es schon, wie nah hier alles beieinander war. Vor der hölzernen Tür, einen kieseligen Weg lang, blühten und dufteten Stauden, wie ich sie nicht kannte, verausgabten sich noch einmal, verströmten, sangen Arien eines Miteinanders von Menschen und Natur, wie es schöner nicht sein konnte. Wenige Meter entfernt diese Müllhalde, ein Inferno des Verbrauchten und Überflüssigen, wie es in Deutschland ordnungspolitische Maßnahmen größter Güte hervorgerufen hätte. Das wunderbare Prinzenpaar von gegenüber, so habe ich sie getauft, mit den Kindern, die aussahen, wie im Himmel modelliert. Jung, zart, Ebenholz. Und der Alte, der immer wieder an meiner kleinen Kemenate vorbeischlich, der bei jedem Schritt weinte, so weh tat es ihm, und so schlecht war seine Prothese. Beschissen schlecht, dachte ich zornig. Immer noch konnte ich zornig sein, auf all das, was so unsagbar schief läuft. Und dennoch, hierher, in dieses geschundene Paradies, kann man nicht kommen, wenn man Politkerin sein will oder Moralistin. Nur mit dem Bedürfnis, Mensch zu sein, der alles sehen und kennen will, und darin sein, zwischen allem, den betörenden Blüten, dem unendlichen Müll. Ich seufzte tief, streichelte die Kachel, streichelte die anverwandelte Claire, nahm sie mit, legte sie auf meine spartanische Anrichte.
War froh, dass mein Vater nicht Recht hatte, nie außer heute, schlafe süß, alter Mann. Schlafe süß und kraftvoll, liebe Claire. Ich schloß die Fenster, an denen die Wolken so oder so vorbeizogen in ihrer eigenwilligen Richtung, und Patti Smith sang gerade den Schlussakkord.

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