part 4
Der ganze Tag schon war seltsam gewesen. Die erste Krise nach zwei Wochen? Der Himmel hatte sich mehrfach zusammen gezogen, und obwohl es immer noch warm war am Tage und ich noch täglich schwimmen gehen konnte, lag eine modrige Abschiedsstimmung in der Luft. Die Blütenstauden warfen ihre Blätter ab, die tagsüber entduftend trockneten und von feuchten nächtlichen Regenschauern durchtrunken gleichzeitig eine erste Botschaft des Winters zu schicken schienen. Nachts hatte ich die zweite Decke gebraucht, und es wurde Zeit sich über das ungelöste Problem der nicht vorhandenen Heizung Gedanken zu machen.
Franca hatte hier zweieinhalb Jahre ohne Heizung gelebt. Ein paar Tricks entwickelt – und sich abgehärtet. Sie hatte das Leben hier kennengelernt. Und viele Leute hier lebten auch das Jahr durch ohne Heizung, die ärmeren. Wer Geld hatte natürlich nicht – und da hatte man sich in der Regel gleich richtig ausgestattet. Mit Fußbodenheizung, neoklassizistischen Kaminen und allem nur erdenklichen Schnickschnack. Ich hatte begonnen an Franca zu denken. Zunächst wollte ich sie einiges zum Haus und den Bewohnern des Ortes fragen, das wäre praktisch gewesen und hätte mir erste Anflüge der Einsamkeit genommen. So, wie ich mir, als ich sie kennenlernte und sie mit ihrer tiefen rauchigen Stimme von diesem Ort, diesem Haus sprach, alleine durch ihre Erzählungen nie vorstellen konnte, an diesem von ihr geatmeten Ort jemals einsam zu sein. Nun vermisste ich sie langsam, wie ich mir plötzlich eingestand. Und am Ende machte ich mir Sorgen. Konnte Sorgenmachen und Vermissen nicht mehr recht unterscheiden.
Ich fand allerdings schon immer, dass beides eng zusammenhängt. Hatte bei Menschen erlebt, wie sie die Sorge vorschoben, wenn ich meine Ruhe haben wollte. Hatte selbst erlebt, wie ich die vielen Sorgen, die ich wegen Roberts Situation am Anfang hatte, mit der Zeit von mir abstreifte. Als ich aufhörte, ihn zu vermissen. Den einzigen Disput mit Franca, als sie drohte ernsthaft böse zu werden, hatte ich an jenem vorletzten Abend auf der Terrasse in Playa Blanca gehabt, als wir beide neugierig waren und aufgewühlt, gespannt wie Flitzebögen auf das, was kommen würde, in der heiligen Allianz unserer geplanten Aufbrüche. Da hatte ich ihr nichtsahnend und mit der Tollpatschigkeit fast schon akademischen Rässonierens diese Theorie dargelegt, als sie von ihrer Sorge um Schuscha sprach. Sie kratzte mir fast die Augen aus, lies auch nicht ab von ihrem wilden Zorn, als ich sagte, wieviel Zartheit in dieser liebenden Sorge liegt für mich, und dass ich sie ganz gewiss nicht immer erpresserisch finde und... Franca explodierte stellvertretend für all die erloschenen Vulkane um uns rum. Und begann plötzlich zu weinen, heftig und zornig. Plötzlich verstand ich bis in meine Herzfasern hinein, wie sehr sie sich ängstigte, um das, was der Geliebten gerade widerfahren konnte. Und wie sehr ich sie, die autarke stolze Frau gerade gekränkt hatte. Ich legte meine Hand auf ihren Arm und sprudelte beschwichtigend. Sie stieß mich zurück und flüchtete durch die Gassen. Ihren langen Rock schien ich noch zu sehen, als ich später erschüttert den Blick wieder hob.
Am nächsten Morgen war sie ganz verändert, neu aufgeräumt und trotz der kurzen Nacht ausgeschlafen. Entschuldigte sich bei mir, lächelnd und bestimmt.
Ja, ich vermisste sie und ich machte mir Sorgen. Ihr Aufbruch war soviel riskanter als meiner, von einem in fast schon jeder Hinsicht tödlichen Ernst. Für mich war es dann doch ein Spiel, ein geschenktes, ehrliches, notwendiges Spiel.
Plötzlich klingelte mein Handy, das ich vor ein paar Tagen erst wieder aufgeladen hatte. Franca! Das war mein erster Gedanke. Liebevoll streifte ich die rotorangegemusterte Tischdecke glatt, als könnte sie sie durchs Handy sehen. Atmete durch und griff fast kokett, wie die Damen des Vorkriegsberlins nach ihrer Zigarettenspitze, nach meinem silbernen Tor zur Welt, bereit es in diesem Fall zu öffnen. Meldete mich, etwas übertrieben euphorisiert mit: „Jaaa, hier, Claire“. Am anderen Ende ein Lachen, lang, ausführlich und echt. Ein Männerlachen. „Na, du Ausreißerin...!“. Ich war perplex und brauchte überraschend lang um mit meinen anderweitig belegten Neuronen das Mosaik zusammenzusetzen. „Ach Sammy, du bist es“, stieß ich hervor und konnte nur hoffen, dass es nicht allzu enttäuscht klang.
Franca hatte hier zweieinhalb Jahre ohne Heizung gelebt. Ein paar Tricks entwickelt – und sich abgehärtet. Sie hatte das Leben hier kennengelernt. Und viele Leute hier lebten auch das Jahr durch ohne Heizung, die ärmeren. Wer Geld hatte natürlich nicht – und da hatte man sich in der Regel gleich richtig ausgestattet. Mit Fußbodenheizung, neoklassizistischen Kaminen und allem nur erdenklichen Schnickschnack. Ich hatte begonnen an Franca zu denken. Zunächst wollte ich sie einiges zum Haus und den Bewohnern des Ortes fragen, das wäre praktisch gewesen und hätte mir erste Anflüge der Einsamkeit genommen. So, wie ich mir, als ich sie kennenlernte und sie mit ihrer tiefen rauchigen Stimme von diesem Ort, diesem Haus sprach, alleine durch ihre Erzählungen nie vorstellen konnte, an diesem von ihr geatmeten Ort jemals einsam zu sein. Nun vermisste ich sie langsam, wie ich mir plötzlich eingestand. Und am Ende machte ich mir Sorgen. Konnte Sorgenmachen und Vermissen nicht mehr recht unterscheiden.
Ich fand allerdings schon immer, dass beides eng zusammenhängt. Hatte bei Menschen erlebt, wie sie die Sorge vorschoben, wenn ich meine Ruhe haben wollte. Hatte selbst erlebt, wie ich die vielen Sorgen, die ich wegen Roberts Situation am Anfang hatte, mit der Zeit von mir abstreifte. Als ich aufhörte, ihn zu vermissen. Den einzigen Disput mit Franca, als sie drohte ernsthaft böse zu werden, hatte ich an jenem vorletzten Abend auf der Terrasse in Playa Blanca gehabt, als wir beide neugierig waren und aufgewühlt, gespannt wie Flitzebögen auf das, was kommen würde, in der heiligen Allianz unserer geplanten Aufbrüche. Da hatte ich ihr nichtsahnend und mit der Tollpatschigkeit fast schon akademischen Rässonierens diese Theorie dargelegt, als sie von ihrer Sorge um Schuscha sprach. Sie kratzte mir fast die Augen aus, lies auch nicht ab von ihrem wilden Zorn, als ich sagte, wieviel Zartheit in dieser liebenden Sorge liegt für mich, und dass ich sie ganz gewiss nicht immer erpresserisch finde und... Franca explodierte stellvertretend für all die erloschenen Vulkane um uns rum. Und begann plötzlich zu weinen, heftig und zornig. Plötzlich verstand ich bis in meine Herzfasern hinein, wie sehr sie sich ängstigte, um das, was der Geliebten gerade widerfahren konnte. Und wie sehr ich sie, die autarke stolze Frau gerade gekränkt hatte. Ich legte meine Hand auf ihren Arm und sprudelte beschwichtigend. Sie stieß mich zurück und flüchtete durch die Gassen. Ihren langen Rock schien ich noch zu sehen, als ich später erschüttert den Blick wieder hob.
Am nächsten Morgen war sie ganz verändert, neu aufgeräumt und trotz der kurzen Nacht ausgeschlafen. Entschuldigte sich bei mir, lächelnd und bestimmt.
Ja, ich vermisste sie und ich machte mir Sorgen. Ihr Aufbruch war soviel riskanter als meiner, von einem in fast schon jeder Hinsicht tödlichen Ernst. Für mich war es dann doch ein Spiel, ein geschenktes, ehrliches, notwendiges Spiel.
Plötzlich klingelte mein Handy, das ich vor ein paar Tagen erst wieder aufgeladen hatte. Franca! Das war mein erster Gedanke. Liebevoll streifte ich die rotorangegemusterte Tischdecke glatt, als könnte sie sie durchs Handy sehen. Atmete durch und griff fast kokett, wie die Damen des Vorkriegsberlins nach ihrer Zigarettenspitze, nach meinem silbernen Tor zur Welt, bereit es in diesem Fall zu öffnen. Meldete mich, etwas übertrieben euphorisiert mit: „Jaaa, hier, Claire“. Am anderen Ende ein Lachen, lang, ausführlich und echt. Ein Männerlachen. „Na, du Ausreißerin...!“. Ich war perplex und brauchte überraschend lang um mit meinen anderweitig belegten Neuronen das Mosaik zusammenzusetzen. „Ach Sammy, du bist es“, stieß ich hervor und konnte nur hoffen, dass es nicht allzu enttäuscht klang.
wasserfrau - 4. Sep, 20:12