Dienstag, 15. August 2006

part 2

Der Kleber war schon angerührt, da zuckte meine Hand. Der Vater hatte manchmal gesagt, mein Groschen sei kein Sturzbomber. Das hatte mich schwer getroffen, zu Zeiten. Sagt man sowas zu einem Kind? Jetzt war ich ein anderes Kind, ein neues, und ich dachte lächelnd an ihn. Ich hoffte es ging ihm gut, diesem geliebten, gefürchteten Kerl, der er war, und der erst zu Milde und Bedürfnis erwachte, als er alt war. Ich hoffte, es ging ihm gut, denn obwohl er nun der angenehmere combattant geworden war, hatte ich keine Zeit für ihn gerade. Er müsste verstehen und würde. Mit voller Absicht hatte ich keinen Telefonanschluss. Das handy hatte ich schon seit vielen Tagen nicht mehr angerührt, und müsste ernsthaft nachdenken, wo es ist. Dabei hatte ich es zur Notfallversorgung erklärt. Ich lächelte wieder. Welcher, bitte welcher Notfall.
Mein Groschen fiel wie ein Sturzbomber. Blitzlichtartige Erkenntnis. Diese Kachel, diese Claire, die würde immer bei mir bleiben müssen, egal wo und wie. Das war mein Immer. Sie musste hier befestigt werden, unverwüstlich – und dennoch jederzeit, noch vor dem handy abgezupft werden können für jeden Weg, der kam. Ich musste sie so befestigen, dass das alles möglich war. Ich nahm den Eimer mit dem Klebezeug beherzt, auch wenn ich ihn für Geld erwarb, und davon hatte ich gerade weniger als man sich denken kann, nahm ihn und warf ihn über den Zaun, wo die Nachbarn eine ansehnliche Müllhalde erzeugten. Das leistete man sich hier. Und auch, wenn ich noch mal in mich gehen musste, ob ich allen Verrohungen, die hier statt hatten, neben dem Lieblichen und Neuen, nachgeben sollte: jetzt war es richtig. Denn der blöde Klebstoffeimer versank zwischen einer verrosteten Autotür und einem verschimmelten Federbett, das ganze garniert von unzähligen Plastikflaschen. Versank für immer und ewig. Ciao. Ciao.
Mein Zaun war hoch. Und seltsam war es schon, wie nah hier alles beieinander war. Vor der hölzernen Tür, einen kieseligen Weg lang, blühten und dufteten Stauden, wie ich sie nicht kannte, verausgabten sich noch einmal, verströmten, sangen Arien eines Miteinanders von Menschen und Natur, wie es schöner nicht sein konnte. Wenige Meter entfernt diese Müllhalde, ein Inferno des Verbrauchten und Überflüssigen, wie es in Deutschland ordnungspolitische Maßnahmen größter Güte hervorgerufen hätte. Das wunderbare Prinzenpaar von gegenüber, so habe ich sie getauft, mit den Kindern, die aussahen, wie im Himmel modelliert. Jung, zart, Ebenholz. Und der Alte, der immer wieder an meiner kleinen Kemenate vorbeischlich, der bei jedem Schritt weinte, so weh tat es ihm, und so schlecht war seine Prothese. Beschissen schlecht, dachte ich zornig. Immer noch konnte ich zornig sein, auf all das, was so unsagbar schief läuft. Und dennoch, hierher, in dieses geschundene Paradies, kann man nicht kommen, wenn man Politkerin sein will oder Moralistin. Nur mit dem Bedürfnis, Mensch zu sein, der alles sehen und kennen will, und darin sein, zwischen allem, den betörenden Blüten, dem unendlichen Müll. Ich seufzte tief, streichelte die Kachel, streichelte die anverwandelte Claire, nahm sie mit, legte sie auf meine spartanische Anrichte.
War froh, dass mein Vater nicht Recht hatte, nie außer heute, schlafe süß, alter Mann. Schlafe süß und kraftvoll, liebe Claire. Ich schloß die Fenster, an denen die Wolken so oder so vorbeizogen in ihrer eigenwilligen Richtung, und Patti Smith sang gerade den Schlussakkord.

part 1

Ich hatte die schöne Kachel aus dem Urlaub vor mir liegen. Erstanden am vorletzten Tag in Teguise. Eine einzelne Kachel, wie sie dort oft auf der Insel solitär verkauft wurden, rot und grün umfasst von Hand, ein Einzelstück. Wollte man sich ein Bad damit umbauen, man müsste schon richtig Geld haben. Eine Eingebung, als ich sie griff. Der Mann sagte: “Ja, und was willst du denn damit?“ Der frühe Pilger steckte sich ein „Pilgerzeichen“ aus Zinnblei an den Hut, nähte es sich an den Mantel oder nagelte es nach seiner Rückkehr an die heimische Haustür. Eine Eingebung. „Ich will halt.“
Einen Stift hatte ich besorgt, mit dem sich Keramik beschriften lässt. Mit ihm wollte ich meinen neuen, falschen, alten, richtigen Namen in den freien druchmaserten Raum des gebrannten Quadrats schreiben. ...oder nagelte es nach seiner Rückkehr an die heimische Haustür.
Ich bedauerte mal wieder meine weitgehend fehlende künstlerische Begabung. Im Praktischen. Eine gewisse ästhetische Begabung im Kontemplativen, im Genuss, im Erkennen sprach ich mir durchaus zu. Claire Gontorra sollte da stehen, mein Name: zugleich schwungvoll, bestimmt, aber auch zart. Ich hatte eine klare Vorstellung, wie es aussehen sollte. Vielleicht kann man das in Auftrag geben. Es gibt ja außerordentlich begabte Menschen. Denen erzählt man diffus, wie es sein soll – und sie kriegen es hin. Mein Friseur zum Beispiel, an guten Tagen, es funktionierte nicht immer. Aber ich wollte mich taufen mit diesem Schriftzug, das musste ich schon selbst machen. Mit Bleistift hatte ich auf Dutzenden von DinA4-Blättern geübt, bis sich der Schriftzug, genervt, gelangweilt wiederholt immer mehr von der Vorstellung entfernte. Claire Gontorra hatte nämlich Vorstellungen.
Endlich fasste ich mir ein Herz, die Tat war wichtig, der Schritt, viel wichtiger als jedes Ideal. Hatte ich mich nicht mit Idealen auf der Stelle tretend aufgehalten, aber ja. Es wurde noch kein Himmel gestürmt, dem die Erde fehlte, liebe Claire. Ein kleiner Schritt für die Menschheit... Und beherzt taufte ich mich mit einem Schriftzug.
Das Ergebnis gefiel mir gar nicht so schlecht. Nun nur noch den Kleber aufstreichen, und dann festdrücken neben die Haustür und die Kachel für immer, immer, pph, ja gerne hätte ich gerade ein Immer gehabt, die Kachel für ab jetzt, ab jetzt, ab jetzt, an die Hauswand, neben die dunkelbraune hölzerne Tür, meinen Eingang, meinen Ausgang, mein JETZT. Für das Ritual griff ich ein CD-Orakel und steckte die Oblate blind ins Gerät. Die Fenster waren weit offen und als ich draußen zu werkeln begann, hörte ich wie Patti Smith, so sanft, so intensiv zu mir sang, zu mir schwebte, mit mir schwebte. Eindringlich. Eine gute Wahl.
...und nagelte es nach ihrer Rückkehr an die heimische Wand.

Vermischung, ganz klein.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Aktuelle Beiträge

wo steckense denn blos?
wo steckense denn blos?
rosmarin - 25. Mär, 19:16
das klingt bunt und turbulent...
das klingt bunt und turbulent und spannend und wunderbar....
rosmarin - 7. Feb, 19:17
Neujahr ist bald...
ja eben, auch wenn´s seltsam klingt. Am 7. Februar...
wasserfrau - 4. Feb, 22:04
nicht durch blicken kann...
nicht durch blicken kann so wundervoll phantastisch...
rosmarin - 26. Jan, 01:32
Es ist blöd...
wenns nicht weitergeht... Stimmt. Gera de gehts nicht. Dabei...
wasserfrau - 22. Jan, 23:55

Links

Zahlenzählen

Suche

 

Status

Online seit 6980 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 25. Mär, 19:16

Credits


Claire
Das Leben der Anderen
Dschungel
Energietagebuch
Häusliche Orgien
Kraftorte
Lebensphasen
Momentaufnahmen
Schreiben
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren